Interview with Wolf D. Prix «Die Gesellschaft, die wir uns erträumt haben, ist nicht zustande gekommen. Stattdessen erleben wir einen grossen Backlash»
Elias Baumgarten
Während seine Generation mit dem Versuch gescheitert sei, durch Architektur die Gesellschaft zu verändern, sagt Wolf D. Prix, probiere es der Nachwuchs heute gar nicht erst und flüchte sich lieber in eine verklärte Vergangenheit. Dabei brauche es dringend frische Konzepte für die nächsten zwanzig Jahre.
Herr Prix, als junger Architekt haben Sie mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer der Architekturszene Dampf gemacht. Mit Ihren Experimenten, Ihren visionären Gestaltungen und Ihrer angriffslustigen Rhetorik wurden Sie berühmt. Wie kam es dazu?
Rudi Dutschke hat einmal gesagt, nicht wir müssten uns ändern, sondern die Gesellschaft müsse sich verändern, damit wir in ihr leben können. Das war der Ausgangspunkt für unsere Überlegungen: Wir wollten eine Architektur machen, die sich den Menschen anpasst, nicht umgekehrt – eine Architektur leicht und veränderbar wie Wolken eben. Wir haben uns gegen die kalten, unmenschlichen, funktionalistischen Gestaltungen der 1950er-Jahre gewehrt. Sehr polemisch wandten wir uns gegen die älteren Architekten und ihre unsägliche Erfüllungsgehilfen-Haltung. ‹Architektur ist nicht Anpassung›, haben wir geschrieben. Wir haben wirklich fest daran geglaubt, mit Architektur die Gesellschaft verändern zu können.
Sie haben daran geglaubt? Dann war alles umsonst?
Schauen Sie sich doch um: Vieles ist heute sogar schlimmer als in den 1970er-Jahren. Gesellschaftlich hat meine Generation sicher verloren. Was wir uns einst erträumt haben, ist nicht eingetreten. Stattdessen erleben wir gerade einen grossen Backlash. Eine konservative Architektursprache ist mehr denn je gefragt. Viele flüchten sich in eine verklärte Vergangenheit und bauen Biedermeier. Überall entstehen Kisten mit Schiessscharten und Scheunenarchitekturen. Das ist für mich ein Alarmzeichen. Und da passt ins Bild, dass auch die angesprochene Erfüllungsgehilfen-Haltung und der vorauseilende Gehorsam der Architekten ungebrochen intakt sind. Ich kritisiere niemanden, der Aufträge auch von fragwürdigen Bauherren annimmt, um Geld zu verdienen und ein gutes Auskommen zu haben – da würde ich mich ja selber unglaubwürdig machen, schliesslich arbeiten wir unter anderem erfolgreich in China. Aber seine langweiligen Investorenprojekte als die Zukunft der Architektur hinzustellen oder in China chinesischer zu bauen als die Chinesen selber, das finde ich obszön, da werde ich ärgerlich.
Wahrscheinlich klinge ich jetzt für jemanden Ihrer Generation sehr negativ.
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